Mehr Radwege, weniger Autos in den Straßen. So stellt man sich gemeinhin die Stadt der Zukunft vor. Bekommt Ulm die Kurve bei der Verkehrswende hin und wie sieht das Mobilitätsverhalten in ein paar Jahren bei uns aus? Um diese Fragen ging es bei der diesjährigen Stadthausveranstaltung des Ulmer Initiativkreis nachhaltige Wirtschaftsentwicklung e.V. (unw), die 2024 unter dem Motto stand: „Wie fährt Ulm 2040?“
Sie ist das Zugpferd eines jeden unw-Jahres. Und zur Tradition gehört auch, dass der Oberbürgermeister jedes Jahr die Schirmherrschaft der Stadthausveranstaltung übernimmt. In diesem Frühjahr tat dies zum ersten Mal das neue Stadtoberhaupt Martin Ansbacher, der das Thema Mobilität so kontrovers und auch emotional diskutiert sieht, wie kaum ein anderes. Er sagte in seinem Grußwort: „Eine gewichtige Rolle für die Reduzierung der CO2-Emissionen spielt die Fahrradmobilität und in dem Zusammenhang vor allem ein sicheres und funktionierendes innerstädtisches Radwegenetz.“
Grabenkämpfe beenden
Zudem sei, so Ansbacher, ein guter ÖPNV mit attraktiven Angeboten und angemessener Tarifstruktur ein wichtiger Bestandteil der Mobilitätswende: „Wichtig ist also, dass wir die ideologischen Grabenkämpfe der vergangenen Jahre beenden. Auto- und Fahrradfahrer dürfen nicht mehr gegeneinander ausgespielt werden.“
Der unw-Vorsitzende Prof. Dr. Martin Müller verwies in seiner Begrüßung auf die aktuelle Klimabilanz der Stadt Ulm, in der zu sehen sei, dass der Verkehr zulege, die Klimaziele aber auch im Verkehr eingehalten werden müssen. Gerade in diesem Sektor gebe es unterschiedlichste Interessen, so dass die Diskussion deshalb schon immer sehr emotionalisiert war: „Dies zeigt sich ja auch an den Bürgerinitiativen für Tempo 50 und gegen mehr Fußgängerzonen. Doch Studien zeigen, dass man den ÖPNV ausbauen, preiswert machen sowie die Fahrradwege ausbauen kann und die Menschen jedoch noch immer mit dem Auto fahren können.“ Ein Umdenken könne eventuell durch Parkraumbewirtschaftung oder eine teure City Maut stattfinden. Martin Müller: „Die Frage also ist, wie man das in einer Stadt schaffen kann, ohne die Bürgerschaft zu spalten.“
Es bleibt nicht viel Zeit
Elke Zimmer, Staatssekretärin im baden-württembergischen Ministerium für Verkehr stellte klar: „Kohlendioxid-Emittent Nummer eins in unserem Land ist und bleibt mit einem Drittel der Ausstöße der Verkehrssektor.“ Das Land möchte deshalb in diesem Bereich die CO2-Emissionen bis 2030 um 55 Prozent senken: „Eine riesige Herausforderung. Doch das Ziel ist machbar. Allerdings bleibt nicht mehr viel Zeit.“ Bis zu diesem anberaumten Zeitpunkt müsse zum Beispiel jedes zweite Auto klimaneutral fahren, der ÖPNV verdoppelt und jeder zweite Weg selbstaktiv mit dem Rad oder zu Fuß zurückgelegt werden, so die Politikerin in ihrem Vortrag. Die Transformation hin zur nachhaltigen Mobilität brauche zugleich die Antriebswende, sprich eine Elektrifizierungsstrategie für Pkw und Lkw, inklusive systematischem Aufbau von Ladeinfrastrukturen und deutlichen Vorteilen für klimaneutrale Fahrzeuge. Elke Zimmer: „Klar ist, dass die Landesregierung das alles nicht alleine schaffen kann. Die über 1.000 Kommunen im Land sind deshalb enorm wichtige Partner für die Verkehrswende.“ Hier beschreite Ulm bereits innovative Wege: „Eine der ersten vom Land geförderten E-Quartierhubs befindet sich in ihrer Stadt und ich bin überzeugt, dass das Beispiel weiter Schule machen wird. Ulm zeigt an dieser Stelle, wie eine umsichtige Verkehrsplanung Klimaschutz und Lebensqualität miteinander verbinden kann.“
20 neue Radschnellwege
Im Fokus der Landesplanungen stehe auch die Aufwertung von Schulwegen. Schülerinnen und Schüler sollen laut der Staatssekretärin so sicher wie möglich und vor allem zu Fuß zur Schule kommen: „Ganz ehrlich: Elterntaxis sind eine Erfindung, die man am besten schnell wieder abschafft.“ Zudem wolle das Land Radschnellwege, die für flottes Fahren mit den E-Bikes geeignet sein sollen, als Straßen klassifizieren. Die bisherigen Radwege seien hierfür ungeeignet: „20 Radschnellwege bis 2030 ist unser Ziel“. Wenn man dem Thema der Stadthausveranstaltung folgend in das Jahr 2040 blicke, dann spiele für Elke Zimmer das Thema Digitalisierung eine entscheidende Rolle: „Was hier vor uns liegt, können wir uns im Moment noch gar nicht so recht vorstellen.“ Sie denke hierbei zum Beispiel an durch KI gesteuerte Ampelsysteme, einheitliche Mobilitäts-Apps und auch deutlich verbesserte Online-Buchungssysteme für zum Beispiel Carsharing-Angebote. Elke Zimmer: „Ich hoffe, dass wir 2040 beim Thema Digitalisierung alle Menschen mitgenommen haben.“ Und sie hoffe, dass es dann nicht mehr den Irrglauben gebe, dass man aufgrund der Daten zum eigenen Mobilitätsverhalten unrechtmäßig kontrolliert oder überwacht werde. Zudem biete die Digitalisierung Chancen bei der Weiterentwicklung des autonomen Fahrens, insbesondere im ÖPNV und Transportbereich. Elke Zimmer: „Das kann eine Lösung sein, um Fahrer zu ersetzen, die man aufgrund des Fachkräftemangels nicht mehr finden wird.“ Die Politikerin ermutigte das Publikum im Stadthaus dazu, im Bereich Mobilität offen zu sein und Neues auszuprobieren: „Unsere Kinder werden es uns danken.“
Verkehrswende statt Antriebswende
Herzstück der Stadthausveranstaltung ist seit jeher die Podiumsdiskussion, die an diesem Abend von Andreas Rebholz von der Universität Ulm geleitet wurde. Auf der Bühne saßen neben Staatssekretärin Elke Zimmer auch Oberbürgermeister Martin Ansbacher, der spontan für den verhinderten Baubürgermeister Tim von Winning einsprang, sowie Ralf Gummersbach, Geschäftsführer der SWU Verkehr GmbH. Mit dabei war auch Nicolai Jürgens von der Ortsgruppe Ulm/Alb-Donau des Verkehrsclub Deutschland Baden-Württemberg e.V. (VCD).
Er machte deutlich, dass sich der VCD nicht für eine Antriebs-, sondern für eine Verkehrswende einsetze: „Wir wollen zukünftig nicht im Stau von E-Autos stehen, sondern bessere Fuß- und Radwege.“ Keine Unfalltoten mehr, das sei das große Ziel: „Doch mit den bestehenden Konzepten kommen wir da noch nicht hin. Deshalb brauchen wir zuallererst gut ausgebaute Infrastrukturen.“ Wenn die Eltern nicht sicher sein können, dass ihre Kinder wohlbehütet zur Schule kommen, werden sie sie weiterhin mit dem Auto dorthin bringen, ist sich Nicolai Jürgens sicher. Auch wenn die Konzepte gut seien, so sei der Radverkehrsanteil in der Stadt mit etwa zehn Prozent noch immer viel zu gering.
Gesicherte Finanzierung fehlt
Für Elke Zimmer benötige es beim Ausbau der Infrastruktur der Radwege erst einmal die dazugehörige Einigung innerhalb der Stadtgesellschaft: „Denn die Umnutzung vorhandener Flächen bedeutet eben immer auch, dass man diese Bereiche jemand anderem wegnimmt.“
Ohne klar gesteckte Ziele kann es für Ralf Gummersbach keine langfristigen Lösungen geben, auch wenn sie nicht einfach zu erreichen seien: „Ich kann heute nicht sagen, ob wir es wie geplant schaffen, die Fahrgastzahlen in Ulm bis 2030 zu verdoppeln.“ Ideen gebe es jedoch zuhauf. Dazu zähle unter anderem auch die Verlängerung der Straßenbahnfahrzeuge, ein Projekt, das sogar vom Land gefördert werden würde: „Damit könnten wir mit einem Schlag eine Kapazitätserhöhung von 25 Prozent erreichen.“ Zudem sei ein neues Stadtbusnetz mit Neu-Ulm geplant. „Auch das wird viele Menschen in den ÖPNV bringen. Was uns im Moment jedoch bremst, ist eine gesicherte Finanzierung“, so Ralf Gummersbach.
Auf eine Frage aus dem Publikum, ob man nicht gerade in den Abendstunden die Taktzeiten der Busse und Bahnen zum Beispiel auch mit fahrerlosen Zügen erhöhen könne, antwortete der SWU-Verkehrschef skeptisch: „Selbst die Hersteller von Straßenbahnen gehen zum momentanen Zeitpunkt nicht davon aus, dass in den kommenden zehn Jahren autonom fahrende Straßenbahnen eingesetzt werden können.“ Ein dringendes Problem sei zudem fehlendes Fahrpersonal.
Mehr Parkplätze bedeutet mehr Autos
Auch wenn sich an dem Abend alle Teilnehmer auf dem Podium weitestgehend einig waren, dass der Radverkehr priorisiert werden soll, wird die Adenauerbrücke nun bald um zwei Fahrstreifen erweitert, eine neue Tiefgarage am Hauptbahnhof wurde gebaut. Also doch keine Autos raus aus der Stadt? Für Martin Ansbacher keine Frage: „Wir können eine nachhaltige Mobilitätwende nur mit einem gut ausgebauten Radwegenetz schaffen.“ Daran müsse man für die Zukunft festhalten, auch wenn in der Vergangenheit andere Entscheidungen getroffen wurden, so der Oberbürgermeister. Nicolai Jürgens führte ein plakatives Beispiel an: „Wenn wir 500 Parkplätze unter dem Hauptbahnhof in einer Tiefgarage anbieten, dann führt das dazu, dass diese Plätze auch genutzt werden.“
Martin Ansbacher erachtet die Vollendung des Parkhausringes als sinnvoll: „Es bringt ja nichts, die Autos zu verteufeln, sondern wir müssen den Pkw-Verkehr als einen Teil eines zukunftsfähigen Gesamtkonzeptes begreifen.“
Diskutiert wurde an dem Abend auch, ob man nicht durch eine deutliche Anhebung der Parkgebühren, so wie dies in Paris gemacht wurde, den Individualverkehr in der Stadt eindämmen könne. Martin Ansbacher: „Das kann man machen, wenn man vorher eine Einigung erzielt hat, denn es gibt bei solchen Entscheidungen immer verschiedene Standpunkte und Meinungen.“ Dass es in der Stadtgesellschaft Konsens gibt im Bereich Mobilität, liegt dem Stadtoberhaupt persönlich sehr am Herzen – gerade im Blick auf die kommenden Jahre: „Ulm wird eine große Baustelle sein.“ Denn trotz anstehender Brückensanierungen und baulicher Maßnahmen zur Umsetzung der Landesgartenschau 2030 müsse die Innenstadt eben immer erreichbar bleiben: „Für diese Herausforderungen brauchen wir Verständnis in der Bevölkerung.“