Immer mehr Unternehmen möchten klimaneutral wirtschaften. Doch wie kann das gelingen? Mit dieser Frage beschäftigte sich der Ulmer Initiativkreis nachhaltige Wirtschaftsentwicklung e.V. (unw) auf seiner diesjährigen Stadthausveranstaltung, die coronabedingt online stattfand.
Begrüßt wurden die über 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Bildschirmen vom Ulmer Oberbürgermeister Gunter Czisch. Als Schirmherr dankte er dem unw für das große Engagement, Wissenschaftler mit Unternehmen, Institutionen und einer engagierten Bürgerschaft zusammenzubringen: „Sie tragen seit vielen Jahren dazu bei, die Themen der Nachhaltigkeit in die Praxis umzusetzen.“
Auch für Prof. Dr. Martin Müller ist Klimaneutralität ein zentrales Thema, auch wenn es sich für ihm dabei um einen weiten Begriff handle, der viele Interpretationen zulasse: „Es vergeht ja kaum ein Tag, an dem nicht ein Unternehmen ankündigt, klimaneutral zu werden.“ Der unw-Vorsitzende betonte in seinem Vorwort, dass das Thema auch innerhalb des unw kontrovers diskutiert wurde, zum Beispiel wenn es um die Partnerschaft mit der globalen Initiative „Plant for the Planet“ geht: „Für viele sind neugepflanzte Bäume mit Sicherheit gut für die Natur und das Mikroklima, sie fragen sich jedoch, ob sie auch sinnvoll für die CO2-Gesamtbilanz sein können.“ Auf jeden Fall war es für alle Beteiligten Zeit, das Thema auch einmal in der jährlich stattfindenden Stadthausveranstaltung in den Mittelpunkt zu rücken: „Auf der Agenda ist es bereits seit zwei Jahren.“ Nun war es soweit und die Gäste konnten zwei Stunden lang sehr viel über verschiedene Ansätze der Klimaneutralität erfahren und im Chat Fragen an die Referenten stellen.
Bosch seit 2020 klimaneutral
Auch die Robert Bosch GmbH beschäftigt sich seit 2007 mit Klimaschutz und kündigte vor zwei Jahren an, bis 2020 klimaneutral zu sein. „Sie können sich vorstellen, dass man so ein Projekt nicht über Nacht aus dem Boden stapfen kann“, erläuterte Gastredner Torsten Kallweit, Leiter Nachhaltigkeit bei der Robert Bosch GmbH: „Wir haben unser Ziel erreicht und Bosch ist mit seinen 400 Standorten weltweit seit 2020 in Scope 1 und 2 klimaneutral.“ Soll heißen: Die Neutralstellung bezieht sich auf die Eigenerzeugung und den Bezug von Energie, die für Produktion, Entwicklung und Verwaltung benötigt wird. Doch damit nicht genug, denn das Unternehmen will den Klimaschutz über den unmittelbaren Einflussbereich hinaus gestalten und auch die vor- und nachgelagerten Emissionen (Scope3) bis 2030 um 15 Prozent senken. Torsten Kallweit: „Wir machen weiter, stehen auf und wollen dieses Ziel erreichen.“
Bereits bis 2017 konnte der CO2-Fußabdruck des Unternehmens weltweit konstant gehalten, jedoch nicht vermindert werden: „Von Klimaneutralität war damals noch gar nicht die Rede.“ Der Nachhaltigkeits-Experte ist überzeugt, dass man beim großen Thema Klimaschutz nur erfolgreich sein kann, wenn man verschiedene Instrumente miteinander kombiniere. Bei Bosch heißt das, die Energieeffizienz zu steigern und die Versorgung mit regenerativen Energien auszubauen („New Clean Power“). Aus diesem Grund wurden im vergangenen Jahr drei Photovoltaik-Parks in Betrieb genommen, denn bislang konnten nur fünf Prozent des Energiebedarfs durch eigene Stromanlagen gestillt werden. Torsten Kallweit: „Dies alles dauert seine Zeit.“ Weitere Hebel sind der Bezug von Grünstrom sowie der Ausgleich unvermeidbarer CO2-Emissionen durch Kompensation. Dieser Anteil betrug 2020 rund 28 Prozent.
Innovationsmotor darf nicht abgewürgt werden
Doch wie sinnvoll sind die Ausgleichsmaßnahmen wirklich? Darüber berichtete Dr. Dietrich Brockhagen. Der Geschäftsführer der Klimaschutzorganisation atmosfair GmbH zeigte in seinem Vortrag die Chancen und Grenzen der CO2-Kompensation auf. Diese sei aus Klimasicht sinnvoll, wenn es keine zumutbaren Alternativen gäbe, die weniger CO₂ verursachen, ein technologisches Entwicklungspotential hin zu einem CO₂-freien oder CO₂-armen Produkt vorhanden sei und die Emissionen des Produkts vollständig erfasst werden könnten. Die Kompensation könne dazu beitragen, die globale Klimakrise zu bewältigen, sie könne den Wandel jedoch auch bremsen, wenn das Geld an die falsche Stelle fließe. Ja, der Innovationsmotor könne sogar abgewürgt werden und Ausgleichszahlungen dürfen für Unternehmen nicht zu einem Freifahrschein werden, einfach so weiterzumachen wie bisher.
Lasst alle Blüten blühen
Frithjof Finkbeiner von der globalen „Plant for the planet“-Kinder- und Jugendorganisation, die den Klimaschutz durch Aufforsten von Wäldern voranbringen möchte, berichtete über „The Trillion Tree Campaign“. Ziel der Kampagne ist es, weltweit eine Billion Bäume zu pflanzen. Denn, so der Vater des Initiators Felix Finkbeiner: „Wir laufen in eine Klimakatastrophe hinein.“ Seine Organisation möchte dieses Szenario nicht mit Kompensation abwenden, sondern dadurch, dass sie Menschen und Unternehmen davon überzeugt in Biomasse zu investieren – zusätzlich zu Ausgleichzahlungen und vor allem freiwillig. Sein Credo: „Lasst alle Blüten blühen.“ Gut gesprochen, denn derzeit stehen 3.000 Milliarden Bäume auf der Erde. Platz gäbe es jedoch noch für weitere 1.200 Milliarden. Frithjof Finkbeiner: „Zeitgleich verliert die Menschheit jedes Jahr zehn Milliarden Bäume.“ Ob Maßnahmen zur Energieeffizienz, CO2-Kompensationen oder die systematische Aufforstung von Wäldern auf der ganzen Welt.
Die Stadthausveranstaltung hat deutlich gemacht, dass es eben verschiedene Wege gibt den Klimaschutz voranzutreiben. Zudem hat der unw mit seinem virtuellen Diskussionsabend bewiesen, dass es auch in Zeiten der Pandemie möglich ist, zusammenzustehen und sich auszutauschen. Für eine gute Sache. Für unsere Welt.